Rahmenbedingungen für ein erneuerbares Strommarktdesign statt Klimapäckchen!

„Wer bekommt nicht gern ein Paket!? Doch das lang ersehnte Klimapäckchen der Regierung, enttäuschte nicht nur die Erwartungen der vielen Demonstranten. Bei der Vorstellung sprach Kanzlerin Merkel von einem „Kompromiss“, es sei eben „das Mögliche“. Aber weder mit dem ansteigenden Meeresspiegel noch mit Dürreperioden kann man verhandeln. Und es ist klar: Diese ersten Schritte reichen bei Weitem nicht. Die Folgen von diesem unzureichenden Handeln werden verheerend und sogar tödlich sein für viele Menschen. Wir haben eine Verantwortung, Fakten als solche wahrzunehmen und entsprechend zu handeln. Bei der Bankenkrise haben wir es geschafft. Wir können es auch bei der Klimakrise.

Und das haben gerade die vielen Menschen gezeigt, die am 20. September weltweit für einen vernunftbegabten Umgang mit der Klimakrise demonstriert haben. Allein in Deutschland gingen rund 1,4 Millionen Menschen für die Zukunft unseres Planeten auf die Straße. Nie war der Rückhalt für Klimaschutz größer. Mit diesem starken Signal aus der Bevölkerung, kann eine Regierung sich trauen, beispielsweise den Ausbau der Windenergie wieder in Schwung zu bringen. Denn in den letzten drei Jahren sind schon mehr Arbeitsplätze in der Windenergie verlorengegangen als es in der Braunkohle überhaupt gibt. Zugleich ist der Zubau eingebrochen. Es ist aber entscheidend für die Energiewende den Ausbau der Erneuerbaren Energien deutlich zu beschleunigen. Sie sind das Herzstück des Klimaschutzes. Sauberer, grüner Strom ist der Motor für fast alles, was sich Industrie und Verbraucher in Deutschland an Energiewende wünschen. Statt Abstandsregelungen, die nach Aussage der Bundesbehörde UBA den Ausbau der Windenergie stoppen werden, brauchen wir einfachere Genehmigungen und Investitionssicherheit für Windplanungen. Es wird keine Wärme- oder Verkehrswende gelingen, wenn es nicht ausreichend erneuerbaren Strom gibt. Dann wäre zu befürchten, dass unter dem Deckmantel der Sektorkopplung nur weiter fossile Kraftwerke laufen und mit der neuen Gasstrategie der Bundesregierung Wasserstoff lediglich grün angestrichen wird.

Für uns Grüne ist die intelligente Verknüpfung der einzelnen Sektoren kein fernes Zukunftsszenario. Wer in 30 Jahren in einer gut vernetzten und sauberen Energiewelt leben möchte, muss hier und heute die Weichen in Richtung Zukunft stellen – mit klarer Vision und klugen Konzepten. Dann wird die dringend notwendige Neuausrichtung unseres Energiesystems zum Sprungbrett in die Energiewelt von morgen. Das bedeutet nicht nur den Ausbau der Netze und regenerativen Energien mit absoluter Priorität voranzutreiben, sondern auch smarte und pragmatische Entscheidungen für das Strommarktdesign umzusetzen. Bei den großen Schlagworten sind sich die meisten einig: Der Markt soll intelligenter, Flexibilität muss belohnt werden, neue Verbraucher wie E-Autos und Wärmepumpen benötigen Preissignale.

Die zentralen Probleme des heutigen Systems sind:

  1. CO2 hat keinen angemessenen Preis.
  2. Durch den sehr hohen Anteil fixer Preiselemente kommen die zeitlichen Steuerungssignale des Strommarktes bei den meisten Endkunden zu abgeschwächt an. Sektorkopplung kann kaum stattfinden – und selbst dort, wo sie zaghaft beginnt, spielt sie ihren Vorteil der zeitlichen Flexibilität nicht im Sinne des Gesamtsystems aus.
  3. Netzengpässe haben sich zwar inzwischen zu einem Dauerzustand mit wechselnder geografischer Lage entwickelt, sie werden vom Strommarkt aber völlig ignoriert.
  4. Durch Ausnahmen und Sonderregeln ist das System kompliziert geworden und setzt viele Fehlanreize.

Ich möchte am Beispiel grüner Wasserstoffproduktion erläutern, was das konkret bedeutet. Grüner Wasserstoff muss unbedingt aus zusätzlichem erneuerbaren Strom hergestellt werden, sonst kann er kein Beitrag zum Klimaschutz sein. Und für das Klima ist der Clou des Wasserstoffes seine Speicherbarkeit. Diesen Vorteil muss er ausspielen, um seinen Platz im Team der Energiewende-Technologien einzunehmen. Es ist offensichtlich, dass eine große Stromentnahme während eines Tages mit wenig Wind und Sonne oder hinter einem Netzengpass kein sinnvoller Beitrag zu einer klimaverantwortlichen Energiewirtschaft sein kann. Die Wasserstoffproduktion muss daher „netzdienlich“ organisiert werden, soll sich also an der jeweils aktuellen Lage im Stromnetz mit Erzeugungs- und Verbrauchsspitzen vor und hinter den Netzengpässen orientieren. Zugleich müssen Fehlanreize zurückgenommen werden, die Produzenten und Verbraucher daran hindern, auf die Preissignale der Strombörse zu reagieren. Zum Beispiel produzieren fossile Anlagen zur Eigenversorgung selbst bei negativen Strompreisen noch Strom, da sie dann von verschieden Abgaben, Umlagen und Netzentgelten befreit sind.

Wir brauchen mehr Strommarkt mit echten unverzerrten Marktsignalen. Nur wird das leider oft völlig falsch verstanden. Unbedingt gestärkt werden sollte das EEG. Es ist schon heute hervorragend in den Strommarkt integriert: Über die gleitende Marktprämie werden die Preissignale, wann Strom mehr oder weniger dringend gebraucht wird, voll an die Anlagenbetreiber durchgereicht. Eine kleine Korrektur der Abrechnungsmodalitäten im Sinne der Stromkunden könnte das EEG künftig sogar noch günstiger machen. Durch sogenannte Differenzverträge wären nicht nur die Erzeuger, sondern auch die Stromkunden gegen Preisunsicherheiten abgesichert. Die Betreiber der Anlagen würden die hohe Investitionssicherheit behalten, aber bei hohen Börsenpreisen sogar Geld an die Stromkunden zurücküberweisen. Das DIW hat berechnet, dass die Stromkunden mit dieser Förderung gegenüber einem System ohne EEG 3,4 Milliarden Euro allein im Jahr 2030 sparen könnten. Ein wahrhaft lohnendes Politikinstrument.

Dringend müssen auch die Preissignale der Strombörse gestärkt werden, sodass der Markt eine

effiziente Koordinierung von Erzeugern und Verbrauchern übernimmt. Es ist schlichtweg kein anderer Weg denkbar, wie Millionen von Akteuren zu einem sicheren, umweltfreundlichen und kostengünstigen Gesamtsystem zusammenkommen können.

Was bedeutet das konkret?

  1. Einen angemessenen CO2-Preis setzen

Durch einen Mindestpreis von zunächst 40€ im Emissionshandel, der vorhersehbar ansteigt, haben Unternehmen endlich Planungssicherheit für Investitionen in CO2-arme Technologien. Später, wenn die neuen Technologien vorhanden und etabliert sind, mag ein reiner Emissionshandel ausreichen, um den optimalen Einsatz dieser Technologien zu koordinieren. Aber solange die Umstellung eines kompletten Anlagebestands in der Industrie und von vielen Kraftwerken in der Energiewirtschaft noch vor uns stehen, ist ein verlässlicher CO2-Preis das beste und kostengünstigste Instrument, um tatsächlich die richtigen Investitionen auszulösen.

  1. Nutzen statt Abschalten

Das Stromnetz kann und soll nicht jede produzierte grüne Kilowattstunde aufnehmen und transportieren. Schon heute werden in Zeiten von Netzengpässen Erneuerbare-Energien-Anlagen abgeschaltet, der Strom wird nicht produziert. Dabei ist auch der Strom vor dem Engpass ein wertvolles Gut. Es wäre sehr viel intelligenter, ihn zum Beispiel für die Produktion von Wasserstoff zu nutzen. Wir wollen, dass der Strom vor dem Netzengpass den Betreibern von Wasserstoff-Anlagen und anderen Spontan-Nutzern kostengünstig zur Verfügung gestellt wird, anstatt ihn gar nicht zu produzieren. Wenn der Betreiber dafür einen kleinen Unkostenbeitrag zahlt, können damit sogar die Stromkunden entlastet werden. Wird das Windrad abgeregelt, zahlt nämlich logischerweise niemand für den Strom. Ein konkreter Gesetzentwurf liegt seit Jahren vor. Leider mangelt es am politischen Willen zur Umsetzung.

  1. Reform der Abgaben und Umlagen

Der Strom hinter den Netzengpässen allein wird aber nicht reichen, um die Wasserstoffwirtschaft in Gang zu bringen. Zum einen ist es zu wenig – derzeit ungefähr 1 % des deutschen Stromverbrauchs. Zum anderen fällt er nicht verlässlich an. Schon die Fertigstellung einer Stromleitung kann ganze Gebiete wieder zuverlässig ins Stromnetz einbinden. Investitionen in Wasserstofftechnologie brauchen mehr Investitionssicherheit. Die zentrale Rolle spielen hier die Abgaben und Entgelte, die nicht nur aus diesem Grund dringend reformiert werden müssen. Ziel der Reform muss es sein, die Kosten für den Stromverbrauch zeitlich und lokal spezifisch deutlich abzusenken und somit die netzdienliche Produktion von Wasserstoff im Markt lukrativ zu machen.

Eine zweite Voraussetzung für die erfolgreiche und sinnhafte Einführung von Sektorkopplung ist, dass Netzengpässe nicht künstlich verstärkt werden. Mit der Einführung von einer bedingten Netznutzung für flexible Verbraucher gibt es einen konkreten Vorschlag für ein neues Netzzugangs- und Netzentgeltsystem. Dieses sieht vor, dass flexible Lasten auf den Bezug von Leistung verzichten können und ein entsprechend reduziertes Netzentgelt zahlen. Dabei entscheidet der Verbraucher, ob er flexibel auf den Bezug von Strom im jeweiligen Zeitfenster verzichten kann.

Der Reformbedarf ist also groß, unsere Vorschläge sind da. Man fragt sich, warum die entscheidende Sitzung des Klimakabinetts an einem Donnerstagabend um 22 Uhr beginnen musste, obwohl die Probleme seit Jahrzehnten auf dem Tisch liegen und die Wissenschaft alle notwendigen Technologien zur Lösung längst entwickelt hat. Wir können mehr als nur erste Schritte. Es ist höchste Zeit, dass wir endlich ernsthaft über die richtigen Rahmenbedingungen reden. Und dazu gehört auch die Frage nach dem Strommarktdesign der erneuerbaren Zukunft.

 

Dieser Text erschien am 15.11.2019 als Editorial in der EnWZ und ist hier zu finden. [Externer Link / Paywall].