Wir steuern in eine Energiewelt, die durch zeitlich fluktuierende Erzeugung von erneuerbaren Energien geprägt ist. In der Zukunft wird sich dieser Anteil weiter erhöhen. Dann brauchen wir eine stärkere Anpassung der Stromnachfrage an das Stromangebot, trotz Speicher und Biogas.
Es geht also um die Flexibilität auf der Verbraucherseite. Viele Potenziale werden bislang nicht gehoben, da eine zeitlich optimale Nutzung des produzierten Stroms ohne klare Anreizsignale kaum funktioniert. Aber mit steigendem Anteil an Elektroautos und Wärmepumpen wird ein effizientes Verbrauchsverhalten immer wichtiger.
Die Angebotssituation am Strommarkt spiegelt sich bislang nur ungenügend in der Kostenstruktur der Endkundenpreise wider. Ein Großteil des Endkundenpreises für Strom setzt sich aus vorwiegend statischen, also zeitlich nicht variablen Steuern, Abgaben und Umlagen zusammen. Folglich besteht für die Endkunden kaum Anreiz, den Strombezug zeitlich im Sinne des Gesamtsystems zu optimieren. Preissignale könnten den Verbraucherinnen und Verbrauchern jedoch signalisieren, ob Energie knapp oder reichlich vorhanden ist. Ebenso könnte die Knappheit der Netzinfrastruktur bepreist werden.
Zeitliche Anreize setzen
In unserem Fachgespräch am 7. November wurde die Frage erörtert, welche zeitlichen Anreize wir in unserem Stromsystem benötigen. In einem vorangehenden Fachgespräch hatten wir uns mit der Frage eines räumlichen Preisanreizes befasst (externer Link).
Ziel des Fachgesprächs war eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie vorhandene Flexibilität gehoben werden kann und ob es eines Preissignals dafür bedarf. Es wurde diskutiert, ob dies über eine Weiterentwicklung der Netzentgeltsystematik oder beispielsweise eine Dynamisierung der EEG-Umlage umgesetzt werden könnte.
Flexibilität bei Haushaltskunden heben
Durch flexible Tarife lässt sich die Spitzenlast im Stromnetz um zehn bis mehr als 50 Prozent senken. Das verdeutlichte Andreas Jahn vom Regulatory Assistance Project (RAP) anhand mehrerer Pilotprojekte aus den USA und Frankreich. Selbst bei kleinsten Verbrauchern kann Flexibilität mit der entsprechenden Technik aktiviert werden. Wenn es bei fixen Strompreisen pro Kilowattstunde bliebe, würde die Energiewende sehr teuer, so Jahn. Er plädierte dafür, auch bei Haushaltskunden die Flexibilität zu heben.
Zeitvariable Netzentgelte nutzen
Dr. Wolfgang Fritz von Consentec stellte das Instrument der variablen Netzentgelte vor. Auch er sieht ein relevantes Potential für Flexibilität bei den Verbrauchern, das gehoben werden sollte. Er verwies darauf hin, dass das Instrument der variablen Netzentgelte eher für eine langfristige Änderung des Verbrauchsverhaltens zielführend sei, weniger um konkrete Netzengpässe des Netzbetreibers abzurufen. Allerdings sei die ökonomisch effiziente Dimensionierung nicht trivial und die echten Kosten des Ausbaus eines Engpasses müssten berücksichtigt werden. Voraussetzungen sind technische Einrichtungen zur Visualisierung und Automatisierung zum Beispiel durch Smart Meter und Angebote für Verbraucher außerhalb des Standardlastprofils.
Flexibilitätspotential der Industrie stärken
Carolin Schenuit von der Deutschen Energie-Agentur (dena) verdeutlichte, dass Flexibilität in der Industrie keine Seltenheit mehr sei und es großes Potenziale gäbe. Auch kurzfristig gäbe es das Potenzial, Flexibilität zu heben. Laut Frau Schenuit gibt es in der Industrie das Interesse, einen planbaren Beitrag zur Reduktion der Spitzenlast beizutragen. Netzdienliches Verbrauchsverhalten dürfe auf jeden Fall nicht zu höheren Netzentgelten führen. Bisher sei das noch oft der Fall.
Dynamisierung der EEG-Umlage
Einer der Gründe für inflexibles Verbrauchsverhalten sei der starre Anteil des Strompreises, so Dr. Jens Perner von Frontier Economics. Daher müsse das System der Steuern, Abgaben und Umlagen angepackt werden. Wichtig sei dies aber auch für Effizienzverbesserungen und bessere Anreize für Sektorkopplung in Niedrigpreisstunden. Bisher gibt es hier noch Verzerrungen. Eine zu Niedrigpreisstunden an schwankende Börsenstrompreise gekoppelte EEG-Umlage könnte sinnvolle Anreize setzen. Die Nachfrage würde verlagert. Im Sinne der Verhaltensökonomie können so auch Kleinkunden zu einem rationaleren Verhalten beeinflusst werden.
Weniger sinnvoll wäre der gleiche Ansatz in Hochpreisstunden. Dann bestünde die Gefahr, dass zu viel Flexibilität eingesetzt würde. Durch das Ändern der Risikostrukturen am Markt stellt sich die Verteilungsfrage, wer das Risiko der dynamischen Entgelte trägt.
In der engagierten Diskussion wurden folgende drei Thesen debattiert:
1) „Es gibt große Flexibilitätspotenziale in Deutschland, aber wir müssen diese auf dem Weg zu 100% Erneuerbare noch besser heben.“
2) „Wir brauchen Anreize für zeitliche Flexibilität sowohl auf lokaler als auch auf nationaler Ebene.“
3) „Die Sektorenkopplung kann das Energiesystem nur dann unterstützen, wenn es gelingt reale physikalische Preissignale an eine breite Verbrauchergruppe zu übermitteln.“
Bei der ersten These waren sich die ReferentInnen im Grundsatz einig, dass es große Potenziale für Flexibilität gibt, die noch gehoben werden müssen. Bei der zweiten These gab es von Seiten der ReferentInnen unterschiedliche Ansichten darüber, ob der Bedarf eher lokaler oder nationaler Natur sei. Bei der dritten These war der überwiegende Tenor, dass wir für die Sektorkopplung Preissignale benötigen. Andreas Jahn gab zu Bedenken, dass hier eine vernünftige Umsetzung notwendig sei, da wir sonst mit hohen Peaks konfrontiert seien, die einen massiven Netzausbau nach sich ziehen würden.
In der Diskussion wurde betont, wie wichtig es sei, zügig zu handeln und langfristig verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Dies sei verkraftbarer für alle Akteure als die Ankündigung von Reformen in letzter Minute, gerade im Sinne der Planungssicherheit. Ein Beispiel hierfür ist die Einführung eines CO2-Preises in Schweden, der auch für unser Stromsystem notwendig ist.