03.06.2020
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Gastbeitrag: Woher der Wind weht

Die Energiewende in Deutschland stockt. Obwohl die überwältigende Mehrheit der Menschen für den Ausstieg aus Kohle und Atom und den schnellen Ausbau der Erneuerbaren Energien ist, steht die schwarz-rote Bundesregierung seit Jahren auf der Bremse. Statt Hindernisse aus dem Weg zu räumen, bestimmen zähe Diskussionen um die überfällige Abschaffung des Deckels für die Solarenergie und über neue Zwangsabstände für Windräder die energiepolitische Diskussion. Die Regierung führt Deutschland damit international immer weiter ins Hintertreffen. Der Umstieg auf saubere Energien verlangsamt sich zusehends.

Um Deutschland wieder auf Kurs zu bringen, brauchen wir einen Neustart. Die Vorschläge für einen schnelleren Ausbau der Solarenergie und der Windenergie an Land liegen auf dem Tisch. Die Regierung muss sie nur umsetzen. Nicht aus dem Blick geraten darf dabei ein weiteres wichtiges Standbein der Energiewende: die Windenergie vom Meer. Rund 1500 Anlagen mit 7.500 Megawatt Leistung wurden bisher in Nord- und Ostsee installiert. Das ist ein guter Anfang. Jetzt gilt es diesen Ausbau engagiert fortzusetzen. Denn die Offshore-Windenergie liefert eine verlässliche Versorgung mit sauberem Windstrom.

Im Vergleich zur Windenergie an Land erzeugen die Anlagen auf See ca. doppelt so viel Strom, weil der Wind dort viel kontinuierlicher weht. Im Vergleich zu Solaranlagen ist es sogar die vierfache Strommenge pro Megawatt installierter Kraftwerksleistung. Wind vom Meer ist damit ein stabiler Anker für die neue Energiewelt, in der der Bedarf an sauberem Strom steigt – für E-Fahrzeuge, für Wärmepumpen, für grünen Wasserstoff in der Industrie oder als Speicher für wind- und sonnenarme Phasen. Durch ihre verlässliche Stromproduktion stabilisieren Offshore-Anlagen zudem das Stromnetz.

Nur mit ausreichend Strom vom Meer lassen sich Kohleausstieg und Klimaschutz erfolgreich umsetzen. Deshalb ist für uns Grüne schon heute klar, dass wir die Ausbaupfade für Offshore-Wind deutlich anheben müssen. Bis 2035 wollen wir in Nord- und Ostsee etwa 3500 Anlagen aufbauen. Das entspricht etwa einer Leistung von 35 Gigawatt. Umso wichtiger ist ein sinnvoller politischer Rahmen, um dieses Ziel zu erreichen. Aktuell ist die weitere Finanzierung der Offshore-Windenergie in der Diskussion. Auf dem Tisch liegen verschiedene Vorschläge, unter anderem auch Ideen des CDU-geführten Bundeswirtschaftsministeriums, die allerdings in der Fachwelt auf wenig Zustimmung stoßen.

Aus unserer Sicht sind für die Finanzierung sogenannte Differenzverträge oder „Contracts for Difference“ am besten geeignet, die das bisherige Prinzip des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) weiterführen. Beim Zuschlag für ein Projekt wird ein prognostizierter Markterlös für den Windstrom vom Meer zugrunde gelegt. Liegt der aktuelle Wert am Strommarkt später unter dieser Marke, erhält der Windparkbetreiber die Differenz erstattet. So arbeitet auch die bisherige EEG-Umlage. Liegt der aktuelle Marktwert darüber, zahlt der Betreiber in entsprechender Höhe auf das EEG-Konto ein. Er gibt also einen Beitrag an den allgemeinen Fördertopf zurück, den er für die Wirtschaftlichkeit seines Projekts ohnehin nicht benötigt.

Mit solchen Differenzverträgen ist die Finanzierung der Offshore-Projekte gesichert und gleichzeitig eine Überförderung ausgeschlossen. Der Strom kann kostengünstig zur Verfügung gestellt werden, die Ausbau- und Klimaziele werden mit hoher Sicherheit erreicht. Dieses Finanzierungsmodell ermöglicht außerdem eine größere Akteursvielfalt und damit mehr Wettbewerb.

Dass die Offshore-Industrie längst eine wichtige Zukunftsbranche für Deutschland geworden ist, zeigt sich besonders in den Küstenländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Hier haben Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette der Windenergie auf See investiert und so Arbeitsplatzabbau und Steuerrückgänge in anderen Bereichen – zum Beispiel bei den Werften – kompensieren können. Dieser Wirtschaftszweig braucht eine verlässliche Perspektive, damit der Klimaschutz vorankommt und Investitionen und gut bezahlte Arbeitsplätze den teilweise strukturschwachen Regionen dauerhaft Aufwind verleihen können. Die von früheren Bundesregierungen vorgegebene Ausbaupause in den kommenden zwei Jahren stellt die Branche ohnehin schon vor Herausforderungen. Umso wichtiger ist jetzt langfristige Planungssicherheit.

Ohne Frage bringt der zügige Ausbau der Windenergie auf dem Meer auch Nutzungskonflikte mit sich. Wir wollen dabei die Vorteile für den Klimaschutz mit den Interessen des Naturschutzes in Einklang bringen. Mit sorgfältiger Planung und frühzeitiger Einbindung von Naturschutzbehörden können Konflikte vermieden werden. Fortschritte gab es in der Vergangenheit außerdem durch bessere technische Verfahren, zum Beispiel einen leiseren Bau der Windradfundamente. Bisherige Erfahrungen zeigen außerdem, dass Offshore-Windparks auch Rückzugsräume für Meeresbewohner werden und so einen Beitrag zum Artenschutz leisten können.

Aber nicht nur die Offshore-Branche, auch andere Wirtschaftszweige müssen ihren Beitrag zu einer nachhaltigen und artenverträglichen Nutzung des Meeres leisten: die Schifffahrtsindustrie, die Fischerei, die Rohstoffgewinnung und nicht zuletzt das Militär. Diese Aufgabe sollte unbedingt gemeinsam mit unseren Nachbarn im Nord- und Ostseeraum angegangen werden. Dann können überregionale Aspekte des Arten- und Naturschutzes angemessen berücksichtigt werden.

Gemeinsames Handeln auf Europäischer Ebene verbessert auch das Ergebnis für Klimaschutz und Energieversorgung. Daher rufen wir die Regierung dazu auf, sich beim Ausbau der Windenergie auf See besser mit unseren Nachbarn abzustimmen – zum Beispiel bei der Koordination der Ausschreibungstermine oder der Verknüpfung von Windparks durch Stromleitungen. Die anstehende EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands bietet dafür eine hervorragende Gelegenheit. So kann der entschlossene Ausbau der Offshore-Windenergie zu einem wichtigen Baustein des Green Deal werden.

Der Gastbeitrag ist am 02. Juni 2020 bei Frankfurter Rundschau online erschienen.

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