Gastbeitrag: Erneuerbaren Vorrang verschaffen an den Märkten für Systemdienstleistungen

Für einen stabilen Betrieb des Stromsystems müssen Angebot und Nachfrage sekundenscharf im Gleichgewicht gehalten werden. Darüber hinaus muss das System auch nach einer größeren Störung wie dem Ausfall eines großen Kraftwerks noch weiter funktionieren, um einen weiträumigen Stromausfall zu verhindern. Die sogenannten Systemdienstleistungen stellen dies sicher.

Noch heute basiert die grundsätzliche Regelungsphilosophie der Stromnetze auf Technik aus dem 19. Jahrhundert: die rotierenden Massen in den Generatoren von Großkraftwerken puffern Nachfrage- und Angebots-Schwankungen in Echtzeit ab, stabilisieren unmittelbar Frequenz- und Spannung im Netz. Hinzu kommen eine Reihe weiterer Regelsysteme, die entweder automatisch oder auf Anfrage der Netzbetreiber aktiviert werden.

Erneuerbaren bereits jetzt Verantwortung übertragen

Es ist sinnvoll, den Erneuerbaren und fossil-freier Steuerungstechnik ihren Teil der Verantwortung für Regelenergie und Co. nicht erst dann zu übertragen, wenn die Kohle- und Atomkraftwerke abgeschaltet sind und Gaskraftwerke nur noch unterstützend einspringen. Die Erneuerbaren können schon heute viel mehr – und wir sollten sie lassen. Durch die Liberalisierung des Strommarkts wurden für Systemdienstleistungen Märkte geschaffen, auf denen die Netzbetreiber als Kunden agieren. In den letzten Jahren haben bereits wichtige Reformen stattgefunden, um Systemdienstleistungen auch ohne Rückgriff auf konventionelle Großkraftwerke bereitzustellen. Die Nutzung von Batterien für Primärregelleistung ist hier ein prominentes Beispiel. Allerdings besteht weiterer, mittlerweile dringender Handlungsbedarf: Immer häufiger werden konventionelle Kraftwerke am Netz gehalten, damit diese Systemdienstleistungen zur Verfügung zu stellen, obwohl ihr Strom am Strommarkt gar nicht gebraucht wird.

Daher müssen unnötige Hindernisse bei der Bereitstellung von Systemdienstleistungen durch Speicher, flexible Lasten, Phasenschieber, Kondensatoren und erneuerbare Energien dringend abgebaut werden. Dazu kann ein Vorrang für innovative Technologien auf Systemdienstleistungsmärkten einen wichtigen Beitrag leisten. Außerdem sollten Ausschreibungszeiträume so angepasst werden, dass eine Beteiligung von Wind- und Sonne auf Basis zuverlässiger Kurzzeitprognosen ermöglicht wird.

Insbesondere negative Regelenergie können Windparks immer dann erbringen, wenn die Stromleitungen von Nord nach Süd voll sind. Dadurch kann auch die Abschaltungen von Windrädern wegen Netzengpässen reduziert werden. Denn um ein wenig Regelenergie bereitzustellen, müssen Kohlekraftwerke mit einem beträchtlichen Anteil ihrer maximalen Leistung laufen. Damit verstopfen sie als sogenannte „Must-run-Kapazitäten“ die Stromnetze und produzieren auch dann noch Strom, wenn die Erneuerbaren wegen der Netzengpässe schon abgeschaltet werden. Eine stärkere Abdeckung von zunächst negativer und je nach Bedarf künftig auch positiver Regelenergie durch Windparks würde dafür sorgen, dass die Kohlekraftwerke schon heute genau dann abgeschaltet werden können, wenn der Platz in der Stromleitung für Windstrom benötigt wird. Und sogar die Batterien von E-Autos können hier zu einer Einnahmequelle für ihre Besitzer werden, wenn sie kurzfristig zur Systemstabilisierung beitragen.

Darüber hinaus können Wechselrichter einen relevanten Beitrag zu Spannungshaltung und damit zusammenhängenden Systemdienstleistungen leisten, wenn Vorgaben an die Hersteller der Leistungselektronik für die Erneuerbaren gemacht werden, entsprechende Funktionalitäten einzubauen. Aber auch Batterien sollten so intelligent ansteuerbar sein, dass sie zum Beispiel die Schwarzstartfähigkeit der Teilnetze unterstützen.

Transparente Planung für die Zeit nach der fossilen Stromproduktion

Diese Maßnahmen müssen gekoppelt werden mit transparenten Plänen, wo und wie Systemdienstleistungen auch nach der Abschaltung von konventionellen Anlagen bereitgestellt werden. Es gilt mit Nachdruck dafür zu sorgen, dass die technisch längst entwickelten Technologien für Systemdienstleistungen wie Blindleistungsbereitstellung und Momentanreserve rechtzeitig etabliert sind. Teilweise können abgeschaltete Kraftwerke unterstützen, indem bestehende Generatoren und Anschlüsse weiter ausschließlich zu diesem Zweck genutzt werden – wie dies bei einigen Kraftwerken schon geplant ist. Diese Prozesse müssen dringend beschleunigt werden, um auch bei einem marktgetrieben früheren Abschalten der Kohlekraftwerke zum Ende des Jahrzehnts vorbereitet zu sein. Einige Gaskraftwerke, später mit erneuerbarem Gas betrieben, können ebenfalls langfristig einen Beitrag zu Systemdienstleistungen leisten. Hier ist es wichtig im Design der Anlagen aktive Stromerzeugung und Bereitstellung von Systemdienstleistung zu entkoppeln (Phasenschieber-Betrieb). Auch hier können entsprechende regulatorisch definierte, technische Vorgaben für den Kraftwerksneubau zukunftssichere Investitionen ermöglichen.

 

Der Gastbeitrag ist am 6. Juli auf der Webseite des Energate Messengers erschienen.