01.02.2022
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Gastbeitrag: 100% Grün und sicher – Versorgungssicherheit auch zukünftig bewahren

Wer den Wirtschaftsstandort Deutschland langfristig stärken will, muss die klimaneutrale Transformation gestalten. Denn die Klimakrise stellt nicht nur eine Gefahr für unsere Lebensgrundlage, unsere Freiheit und unseren Wohlstand dar. Gleichzeitig gilt: Nur wenn wir uns schnell klimaneutral aufstellen, werden wir wirtschaftlich und technologisch weiterhin in der Spitzenliga mitspielen und die Innovationskräfte unserer Wirtschaft entfalten können. Für uns Grüne steht dabei fest: Die Einhaltung der Klimaziele, die Versorgungssicherheit, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und bezahlbare Energie für jede und jeden sind entscheidend und nicht verhandelbar. In unserem Koalitionsvertrag haben wir uns dafür sehr ambitionierte Ziele gesetzt und uns klar zum 1,5 Grad Ziel bekannt.

Grundlage für unsere energie- und wirtschaftspolitischen Ziele sind die erneuerbaren Energien: bei der Industriestrategie, für die Verkehrswende, für eine klimafreundliche Wärmeversorgung und für die nächste Phase der Energiewende. Wir benötigen den Ausbauturbo für die Erneuerbaren Energien. Das wichtigste Etappenziel ist die Steigerung des Anteils Erneuerbarer im Strommix auf 80 Prozent bis 2030. Ohne genügend Grünstrom verteuert sich die Energierechnung, wird der Kohleausstieg verzögert und die Industrietransformation verschleppt. Die ausreichende Versorgung mit erneuerbarem Strom liegt im öffentlichen Interesse und dient der Versorgungssicherheit. Deswegen müssen in einem ersten Schritt alle Hürden und Hemmnisse des Ausbaus ausgeräumt werden, im Einklang mit dem Artenschutz.

Zukünftig wollen wir alle geeigneten Dachflächen für die Gewinnung von Solarstrom nutzen. Für den Bau von Windrädern werden zwei Prozent der Landesflächen ausgewiesen. Repowering soll einfach möglich sein. Kommunen werden an den Gewinnen aus Windkraftanlagen angemessen beteiligt. Grundlegende Reformen sind allerdings nicht nur notwendig, um den eingebrochenen EE-Ausbau wieder in Schwung zu bringen. Auch der Strommarkt funktioniert noch nach altem Fahrplan und muss dringend modernisiert werden.

Deutschland steht weltweit auf einem Spitzenplatz bei der Versorgungssicherheit. Dieses Niveau gilt es zu halten. Versorgungssicherheit wird zukünftig durch das Zusammenspiel von Erzeugung, Verbrauch, Verteilung und Speicherung hergestellt. Dabei liefern Wind und Sonne den Löwenanteil der Energie, ergänzt durch Wasserstrom und für die seltenen Zeiten ohne Wind und Sonne erneuerbare Gase. Gaskraftwerke sind keine Brückentechnologie, sondern fester Bestandteil einer Stromversorgung mit 100% Erneuerbaren. Für 4% der heutigen Stromkosten können 60 GW Gaskraftwerke vorgehalten werden. Teuer ist das Gas, das in absehbarer Zeit erneuerbar bereitgestellt werden muss – und diese Kosten fallen wiederum beim Gesamtsystem nicht zu sehr ins Gewicht, wenn die Gaskraftwerke nur selten laufen. Das gelingt, wenn flexible Verbraucher sich nach der Verfügbarkeit von Wind und Sonne richten, wenn wir einen breiten Mix von Erneuerbaren haben, die Regionen durch starke Stromleitungen verbunden sind und die Marktregeln entsprechend logisch aufgebaut sind.

Denn bevor die Gaskraftwerke anspringen ist es die Aufgabe des Strommarktes, die Stromerzeugung, Speicher und Verbraucher systemdienlich zu koordinieren. Wir werden die Abgaben und Umlagen im Energiesektor grundlegend reformieren und dabei auf systematische, konsistente, transparente und möglichst verzerrungsfreie Wettbewerbsbedingungen abzielen. Flexibilität als Beitrag zur Versorgungssicherheit muss ausreichend honoriert werden. In diesem Zusammenhang werden wir auch die Rolle der Erneuerbaren bei der Bereitstellung von Regelenergie stärken. Auch wollen wir die Potentiale der Industrie heben. Beispielsweise ein Aluwerk kann mit wenigen Anpassungen in der Produktion seinen Strombezug um 48 Stunden verschieben. Damit ist eine einzige Fabrik über diesen Zeitraum in der Lage, quasi die gleiche Speicherleistung zu erbringen wie zwei Pumpspeicherwerke. Diese Lösungen können genau wie ein physischer Speicher Stromverbrauch und Stromproduktion zeitlich in Einklang bringen. Dafür brauchen sie fast keine Ressourcen und sind deshalb auch umweltfreundlich und günstig. Sie funktionieren wie ein virtueller Speicher.

Um Flexibilität auch finanziell lohnenswert zu gestalten, setzen wir uns für intelligente Tarife und attraktive Angebote ein. Nur so wird das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage verbessert. So werden E-Autos, Wärmepumpen oder Klimaanlagen ihren Strom flexibel aus dem Netz ziehen und dadurch helfen, Verbrauchsspitzen abzuflachen. Die alten Marktregeln verhindern jedoch, dass Flexibilität belohnt wird, setzen sogar teilweise gravierende Fehlanreize. Zum Beispiel verhindert das Eigenstromprivileg bei vielen fossilen Anlagen das Herunterfahren selbst bei negativen Strompreisen. Die erneuerbaren Energien sind die günstige Energiequelle.

Mit einer umfassenden Reform aller Abgaben, Umlagen und Entgelte kann dieser Preisvorteil bei Industrie und den Verbraucherinnen und Verbrauchern zukünftig auch ankommen. Grundlage dafür sind Leistungsstarke und intelligente Stromnetze. Sie sind ein wichtiger Baustein der europäischen Energiewende. Die geplanten Nord-Süd-Ferntrassen werden benötigt, um den Offshore-Windstrom zu den Verbrauchszentren im Westen und Süden Deutschlands zu bringen. Umso stärker das Verbundnetz ist, umso besser lassen sich Lasten verschieben und das Sicherheitsniveau europaweit steigern. Laut dem Deutschen Wetterdienst liegt die Wahrscheinlichkeit, dass die Stromproduktion aus Windkraft und Photovoltaik in Deutschland über einen Zeitraum von 48 Stunden unter 10 Prozent der installierte Nennleistung sinkt bei zwei Fällen pro Jahr – europäisch betrachtet bei einem Ereignis alle fünf Jahre

Zusätzlich ist es sinnvoll, Wasserstoff- und Stromnetze zukünftig gemeinsam sowie vorausschauend zu planen und Klimaneutralität mitzudenken. Die intelligente Vernetzung der Akteure braucht entsprechend intelligente Infrastruktur als Grundvoraussetzung für Laststeuerung oder bidirektionales Laden. Leider stockt der dafür notwendige Rollout der Smart-Meter-Gateways mit zertifizierten Datenschutz- und IT-Sicherheitsstandards schon seit Jahren. Es ist dringend notwendig, dieses Projekt mit politischem Engagement auf allen Ebenen und Zukunftsblick voranzutreiben sowie überzeugend für die Vorteile einer intelligenten Stromversorgung vor Ort zu werben.

 

Der Gastbeitrag ist in der Sonderausgabe des Handelsblatts zum Energiegipfel im Januar erschienen.

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